Rund ein Prozent der Deutschen leidet unter einer Form von Hypochondrie. Betroffene haben eine übertrieben gesteigerte Angst, eine schwere Krankheit zu bekommen. Umgangssprachlich werden manchmal auch Menschen, die wegen jeder Kleinigkeit sofort zum Arzt gehen, als Hypochonder bezeichnet.
Was versteht man unter Hypochondrie?
Das Wort Hypochondrie stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet „Bereich unter den Rippen“ (hypo = unter und chondros = Rippenknorpel). Beschrieben und benannt wurde das Krankheitsbild durch den griechisch-römischen Arzt Galenos von Pergamon.
Im 2. Jahrhundert nach Christus gingen Galenos und andere Mediziner seiner Epoche davon aus, dass der Ursprung für Gemütskrankheiten, die unter den Rippenknorpeln liegende Milz sei. Ein anderer Name für die Störung war daher auch „Milzsucht“.
Heute definiert man die Hypochondrie als Gesundheitsangst oder besser als die Angst, an einer schweren körperlichen Erkrankung zu leiden.
Die Statistik zeigt, dass Hypochonder ganz bestimmte Krankheitsbilder im Sinn haben:
• Bluthochdruck
• Herzinfarkt oder Schlaganfall
• Krebserkrankungen
• HIV-Infektionen
• Blutvergiftungen nach kleinen Verletzungen.
Allerdings gibt es auch Hypochonder, die sich auf seltene Krankheiten „spezialisiert“ haben und meinen an diesen zu leiden.
Daneben gibt es aktuelle Trends. Als der Rinderwahn zunahm, meinten Hypochonder häufiger an der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung zu leiden und in Zeiten der Pandemie sind es COVID-Erkrankungen, die in der Statistik ganz oben rangieren.
Verschiedene Stufen der Hypochondrie
Das Spektrum der Hypochondrie erstreckt sich von einem übertriebenen Gesundheitsbewusstsein über Neurosen in Verbindung mit gesundheitsorientiertem Verhalten bis hin zum hypochondrischen Wahn.
Die Ängste können vorübergehend oder andauernd sein.
Leiden Menschen an Stress, können sich vorübergehend hypochondrische Strukturen bemerkbar machen.
Während der Corona-Pandemie haben auch sonst gesunde Menschen eine gehäufte Angst vor Krankheit erlebt. Das Krankheitsbild wird aber erst zur ernsthaften Störung, wenn weitere Symptome dazu kommen und die Lebensqualität Betroffener durch die Angst deutlich eingeschränkt wird.
Etliche Hypochonder sind sich bewusst, dass das Ausmaß ihrer Befürchtungen nicht der Realität entspricht. Trotzdem flammen die Ängste immer wieder auf. Hypochondrisch veranlagte Menschen müssen fast zwanghaft zum Arzt gehen und Kontrolluntersuchungen durchführen lassen. Nur so fühlen sie sich sicher und wissen für einen bestimmten Zeitraum, dass alles in Ordnung ist.
Einige Hypochonder meiden Ärzte akribisch. Sie können sich selbst im Übermaß mit Naturheilmitteln und Nahrungsergänzungen versorgen.
Die Symptome der Hypochondrie
Hypochonder leiden an einer gesteigerten bis wahnhaften Angst vor Krankheiten.
Bei Menschen mit einem hypochondrischen Gesundheitswahn kann sich alles um gesundes Essen, körperliche Fitness und eine Krankheits-vermeidende Lebensweise drehen.
Unbehandelt können sich Hypochonder immer weiter in die Angst hineinsteigern. Manchmal zeigt der Körper dann sogar Schein-Symptome, die der eingebildeten Krankheit entsprechen.
Beschweren rund um die Hypochondrie:
• Ein vollständig auf Gesundheit und nicht-krankwerden ausgelegter Lebensstil.
• Gesteigertes Interesse an Krankheiten aller Art.
• Sehr negative bis vernichtende Gedanken über den eigenen Gesundheitszustand.
• Akribische Recherchen zu Krankheiten.
• Soziale Interaktionen werden durch die Krankheitsangst dominiert.
• Körpersignale werden akribisch beobachtet und übersteigert bewertet.
• Häufige Besuche beim Arzt.
• Unsicherheiten und Schamgefühle.
Hypochonder können an Panikattacken leiden, müssen es aber nicht. Die Panikattacke ist eine Angst, die sich auf das Hier und Jetzt beziehungsweise die unmittelbar folgende Zukunft bezieht. Sie zeigt sich unter anderem, wenn Betroffene meinen, ein eindeutiges Symptom an sich festgestellt zu haben.
Im Alltag sind die Gedanken der Hypochonder allgemein mehr in die Ferne gerichtet: Ich könnte diese und jene Krankheit haben/bekommen. Was ist dann? Werde ich leiden? Wie schlimm werde ich leiden? Muss ich sterben?
Rund 40 % der Betroffenen leiden zusätzlich an einer Depression.
Die Ursachen der Hypochondrie
Wie viele andere Angststörungen ist die Krankheit bis heute medizinisch und psychologisch nicht vollständig erklärbar.
In der Kindheit und Jugend der Betroffenen fanden häufig emotional besetzte Ereignisse statt, die mit Körpergesundheit oder Krankheiten zu tun hatten:
• Normale Verhaltensweisen der Kinder wurden oft und übertrieben mit Krankheit in Verbindung gebracht: „Setzt dich nicht auf den kalten Stein, du bekommst eine Nierenentzündung“ oder „Zieh dir ein Hemd an oder du wirst krank“.
• Kinder wurden überfürsorglich behandelt und für „krank“ erklärt.
• Harmlose Körperbeschwerden wurden dramatisiert: Ein Schnupfen wurde gleich zur schweren Grippe erklärt oder hinter Kopfschmerzen wurde von Erziehungspersonen etwas Schlimmes vermutet („Oje, das wird doch nichts Schlimmes sein?“).
• Die Ursache kann auch eine tatsächlich in der Kindheit erlebte schwere Erkrankung gewesen sein, die mit Schmerzen, Leid und unangenehmen Behandlungen einherging.
• Krankheiten und Leid waren ein häufiges oder sogar das zentrale Thema innerhalb der Familie.
• Schwere Erkrankungen von Familienmitgliedern können die Psyche und das Unterbewusstsein von Kinder beeinflussen. Sie übernehmen ein Krankheitsbewusstsein.
Bei Betroffenen finden sich versteckte Leit- und Glaubenssätze wie diese:
„Krankheit ist überall und sehr wahrscheinlich“
„Krankheiten sind nicht heilbar oder immer lebensbedrohlich.“
„Nur wenn mein Körper keine Beschwerden/Schmerzen/Signale zeigt, bin ich absolut gesund.“
„Ich muss gesund sein, um nicht krank zu werden.“
Der Graubereich zwischen Gesundheit und Krankheit kann bei Hypochondern sehr eingeschränkt sein. Selbst natürliche Körperregungen oder leichte Beschwerden werden automatisch mit einer schweren Krankheit gleichgesetzt.
Ausgelöst werden die Ängste im späteren Leben durch anhaltenden Stress, emotional belastende Ereignisse im sozialen Umfeld (Todesfall oder Krankheit), Berichterstattungen in den Medien oder aktuell durch die Coronakrise.
Die Diagnose und Behandlung
Hypochondrie ist für Fachärzte und Therapeuten sehr einfach zu diagnostizieren. Die Anzeichen, Verhaltensweisen und Denkstrukturen sind typisch.
Nur wenn Wahnvorstellungen und schwere Begleit-Depression vorliegen verordnen Ärzte stimmungsaufhellende Medikamente.
Ansonsten erfolgt die Behandlung über Gesprächs- und Verhaltenstherapien.
Einige Zweige der Psychologie beschäftigen sich mehr mit den Ursprüngen des Leidens (Psychoanalyse, diverse Hypnosetherapien), andere Methoden konzentrieren sich voll und ganz auf die Etablierung neuer Verhaltensweisen und Gedanken in der Gegenwart (kognitive Verhaltenstherapie, EMRD Therapie).
Die gesetzlichen Krankenversicherungen übernehmen die Kosten einer Psychotherapie, wenn eine Störung „mit Krankheitswert“ vorliegt.