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Stressregulierung – Auswege aus schädlichen Coping Verhalten

Unser Umgang mit Stress ist ein höchst individueller. Oftmals sind es vermeintlich nützliche Verhaltensmuster, die jedoch mittel- bis langfristig mehr Belastung bringen. Alkohol, Drogen, Essstörungen, selbstverletzendes Verhalten, soziale Isolation aber auch übermäßig viel Sport oder Arbeit bringen kurzfristige Erleichterung oder gar soziale Anerkennung. Doch Gefühle wie Scham und Schuld führen zu zusätzlichem Stress.

Wie regulieren wir Stress und wann sprechen wir von Coping?

Körperliche oder psychische Problem- bzw. Leidenszustände gründen oft in zwischenmenschlichen oder eigenen, inneren Spannungen und deren Verarbeitung bzw. Bewältigung. Das Auftreten körperlicher, psychischer wie sozialer Stressoren bedingt, dass dabei unsere inneren Vorgänge der Verarbeitung aktiviert werden, die ein bestimmtes Fühl-Denk-Verhaltens-Muster (FDV-Muster) auslösen. Dieses Muster – oft auch als Coping bezeichnet – wirkt einerseits auf die Wirklichkeitsverarbeitung, andererseits auf die auslösenden Stressoren zurück.

Eine kurzfristig erfolgreiche Regulation mittels Coping führt zu einer Verstärkung zur Neuinterpretation der Wirklichkeit sowie der Vorteilhaftigkeit des Bewältigungsverhaltens. Das Coping-Muster wird als neues erfolgreiches, dominantes FDV-Muster eingeordnet und auch die Erzählung über unser Selbst wird damit erweitert. Im negativen Fall hingegen wird die Erzählung über unser Selbst als eigenes Versagen und somit als weiterer Stressor interpretiert. Die Problemzustände werden als körperliche (Hoch-)Stresserfahrungen wahrgenommen, die mit Angst, Wut, Verzweiflung, Panik, Regression oder Dissoziation sowie negativen Gedanken einhergehen.

Wann wird eine bevorzugte Stressregulation schädlich?

Ein Stress-Bewältigungsverhalten wird zum Problem, wenn es die Form von Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenmissbrauch, von Essstörung, von zwanghaftem Verhalten, von sozialem Rückzug, von Vermeidungsverhalten oder von anderem selbst- oder fremdgefährdendem Verhalten annimmt. Diese vermeintlichen Lösungsversuche gehen neben den offensichtlich negativen, körperlichen Folgen meist auch mit Gefühlen wie Scham und Schuld einher und tragen so zu einer verstärkt negativen Erzählung des eigenen Selbst bei. Die Entwertung und Abwertung der eigenen Person verursachen eine zusätzliche Belastung. Diese zusätzlichen Stressoren führen oft zu einer beständigen Dosiserhöhung und Frequenzsteigerung der gewählten Coping-Strategie.

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schädliche Stressbewältigung

Eine erste kurzfristige Hilfe kann die Würdigung der bisherigen Lösungsversuche im Sinne einer Teil-Selbstfürsorge sein. Aus meiner Praxis in Wien weiß ich, dass dies für Klienten bereits eine enorme Entlastung bringen kann.

Welche körperlichen Stressoren gibt es und wie können wir darauf reagieren?

Das Erleben von psychosomatischen Stresserfahrungen und damit verbundenen FDV- / Coping-Mustern ist eng an das Auftreten oder Bestehen körperlicher Stressoren wie Beziehungsstress, Leistungsstress sowie traumatische- oder kritische Lebensereignisse gebunden. Zentrale Erzählungen sind dabei Erfahrungen von Verlust, Entbehrung, Bedrohung, Kränkung, Überforderung oder eine Verletzung.

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Darüber hinaus können aktuelle Belastungen mit biografischen Belastungen verknüpft sein. So kann etwas eine aktuelle Trennung über eine Affektbrücke Gefühle einer früheren Trennung- oder Verlusterfahrung reaktualisieren.

Das Prozessuale Selbst erklärt unseren Umgang und unser Verhalten im Kontext von körperlichen Stressoren. Hierbei können physiologisch-affektive und kognitive Verarbeitungsprozesse unterschieden werden.

In der Fachliteratur gibt es drei unterschiedliche stressverarbeitende Systeme, die an unterschiedliche Zentren in unserem Gehirn gebunden sind und unterschiedliche Nervenbahnen für Erregung bzw. Beruhigung nutzen.

Das Furcht-System


Die Aktivierung des Furcht-Systems zeigt sich in der Beschleunigung des Herzschlags, im Anstieg des Blutdrucks und der Aktivierung der Muskelspannung. Über die Aktivierung im Hippocampus erfolgt die Übertragung via Adrenalin und Noradrenalin. Eine Beruhigung des Systems erfolgt durch erfolgreichen Kampf bzw. erfolgreiche Flucht. Gelingt die Bewältigung, wird diese durch die Ausschüttung von Dopamin und Opioide belohnt.


Wird das Furcht-System zu lange aktiviert, springt die Stressachse an und es wird zur Regulierung Cortisol ausgeschüttet. Der Körper reagiert bei andauernder Belastung mit Bluthochdruck, Schwitzen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen oder Magenbeschwerden. Bei chronischem Stress bleibt die erwünschte Erholung auch im Ruhezustand aus und Klienten berichten von Erfahrungen einer Depression oder Burnout.

Das Panik-System


Ist weder Kampf noch Flucht möglich, fühlen wir uns ohnmächtig und hilflos. Das Panik-System wird aktiviert. Evolutionärer Hintergrund ist, dass unser Überleben als Herdentier wesentlich von der Unterstützung durch sozial andere abhängt, z.B. das Stillen von Kleinkindern, wenn sie schreien. Die Aktivierung erfolgt auf Hirnstammebene im limbischen System und geht mit körperlichen Wahrnehmungen wie Druck in der Brust, Kloß im Hals oder verstärktem Harndrang einher. Dazu werden Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht und Rückzug empfunden. Eine Beruhigung des Panik-Systems ergibt sich durch soziale Nähe und Fürsorge.

Das Freeze-System


Es gibt Situationen, die eine Aktivierung des Panik-Systems nicht (mehr) möglich machen – etwa wenn eine Bezugsperson nicht (mehr) zugänglich ist oder das Schreien als Stressabbau neue Gefahren (z.B. Gewalt) heraufbeschwören könnte. Dann ist es angemessener, sich in Form einer Freeze-Reaktion völlig still zu verhalten. Diese ist zwar nach außen hin leise, innerlich aber eine Übererregung, auch Hyperarousal genannt. Körperlich geht diese Reaktion mit einer Muskelstarre bei gleichzeitigem Herzrasen einher. Der Erfahrungszustand ist jener der Dissoziation, ein psychischer und eurobiologischer Schutzmechanismus, der zu einer Art Totstellreflex mit vollständiger Nichtansprechbarkeit oder einem abwesend wirkendem Bewusstseinszustand führt.

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Tipp: Eine Psychotherapie kann dabei unterstützen, sich gezielt mit seiner Stress, -wahrnehmung und -regulation auseinanderzusetzen.

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Wie erfolgt unsere kognitive Verarbeitung von Stress?

Gedanken, Erinnerung und Bilder stellen Formen der kognitiven Verarbeitung von Stresserfahrungen dar. Diesen wird durch die Einbettung in einem Erklärungszusammenhang Sinn und Bedeutung zugeschrieben und bilden so die Basis für die Versuche der Problemlösung. Wir versuchen Ursache und Wirkung von Stressfaktoren zu verstehen, um unser Handeln in Zukunft danach adaptieren zu können. Dabei fokussieren wir vorrangig auf negative, defizit- und problemfokussierte Aspekte der Wirklichkeit, die auf Fehlerhaftes, Behinderndes, Mangelhaftes, Schwieriges, Misslungenes verweisen. Jene Aspekte der Wirklichkeit, die auf Gelungenes, Gelöstes oder auf Kompetenzen und Ressourcen verweisen, werden marginalisiert und außer Acht gelassen. Bei negativem Denken wird die Ursache einer Stresserfahrung häufig in einem selbst verursachten Fehler verortet.

Wann sprechen wir von dysfunktionalen Coping Mechanismen?

Eine Rückregulation von Stress erfolgt durch die Aktivierung von Bewältigungsverhalten. Dysfunktionale Coping-Muster wie Anorexie, Bulimie, Drogenkonsum. Selbstverletzung und andere lassen sich vor diesem Hintergrund als an Stresserfahrungen gebundene Bewältigungsstrategien lesen. Coping reguliert einen belastenden, physiologisch-affektiven Erfahrungszustand und hat auch eine soziale Funktion, da es die Stressoren vorübergehend eliminiert.

Häufig entsteht dysfunktionales Coping durch Zufall. So kann etwa am Anfang einer Essstörung eine zufällige Erfahrung von Appetitverlust infolge einer Erkrankung oder einer Stresssituation stehen. Erweist sich das Unterlassen von Essen als funktional, z.B. es führt zu einem kurzfristig besseren Befinden, es ermöglicht die eigene Autonomie gegenüber den Eltern zu behaupten oder ein verändertes Körperbild führt zu sozialer Anerkennung der Peers, kann sich das erlernte Verhalten so manifestieren. Der Lösungsversuch wird von unserem neuroyalen Belohnungssystem durch die Ausschüttung von Dopamin, Opiaten und Endorphinen als positiv abgespeichert und kann so bei aktuellen Stresserfahrungen im Kontext von Schmerz, Angst, Verzweiflung, Wut oder Hilflosigkeit schnell und leicht reaktiviert werden.


Selbstwahrnehmung und Grenzen der Reflexion des schädlichen Verhaltens

Das Narrative Selbst ermöglicht es mittels Reflexion in eine Beobachtung unseres Prozessualen Selbst zu gehen und damit auch unsere Interventionen zu steuern. Durch die Fokussierung unserer Aufmerksamkeit können wir in unser Fühlen, Denken und Verhalten intervenieren. Ein Perspektivenwechsel ermöglicht es uns Stresserfahrungen, deren Bewertung sowie gelernte Coping-Muster neu zu interpretieren.

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Ein wesentliches Merkmal biopsychosozialer Leidenszustände ist eine negative Selbstbeziehung.


Einschränkung der Selbstwahrnehmung


Die Aufrechterhaltung körperlicher Problemzustände resultiert aus dem Ausschluss von Erfahrungen. Diese Exklusion betrifft sowohl negativ als auch positiv wahrgenommene Selbstanteile. Wenn wir Stresserfahrungen und damit verbundene Bedürfnisse wie Angst, Belastung, Hilflosigkeit, Scham, Schmerz, Schuld, Wut, Zorn und / oder traumatische Erfahrungen ausschließen, verhindert dies eine adäquate Rückregulation von Stress. Trotz des Ausschlusses bleibt die Erfahrung Teil unseres Lebens. Diese meldet sich dann zumeist unerwartet und uneingeladen zurück. Eine Einschränkung der Selbstwahrnehmung besteht darüber hinaus in der Ab- oder Entwertung positiver Erfahrungen in Form von Problemausnahmen und -unterschieden, Gelungenes oder eigenen Fähigkeiten. Das beschneidet unsere Möglichkeiten bei Hochstress eine funktionale Selbstfürsorge zu entwickeln.

Psychotherapie

 

Selbstfeindschaft


Eine weitere negative Selbstbeziehung ist die Feindseligkeit gegenüber sich selbst. Wir interpretieren unsere Leidenszustände als Defizit, Mangel, Versäumnis oder Versagen. So wird die Erzählung über uns selbst zu einer Belastung unter der wir leiden.

Mangelnde oder dysfunktionale Selbstfürsorge

Körperliche Leidenszustände gehen meist mit unterlassener oder dysfunktionaler Selbstfürsorge einher. Wir achten nicht auf unsere Bedürfnisse und wir sind nicht mit allen Anteilen unserer Persönlichkeit in Verbindung, die sich als Ressourcen nützen lassen. Manchmal gönnen wir uns zu wenig Ruhe, wir muten uns zu viel zu oder wir verkennen unsere eigene Verletzbarkeit. Stattdessen nutzen wir dysfunktionale Strategien der Selbstfürsorge (z.B. Alkohol oder Drogen), die mittel- und langfristig Stress und Belastung erhöhen.

Wie kann Psychotherapie als Ausweg hilfreich sein?

Was Teil des Problems ist, kann auch Teil der Lösung sein: Bei einer Verwandlung der Selbstbeziehung kann das, was bislang aus der Wahrnehmung des Narrativen Selbst ausgeschlossen war, ins Blickfeld kommen. Selbstfeindschaft kann sich in Selbstfreundschaft verwandeln. An die Stelle unterlassener oder dysfunktionaler Fürsorge kann angemessene Sorge für das eigene Selbst treten. Psychotherapie ist ein möglicher Kontext, in dem sich diese Verwandlung vollziehen kann.

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